22.01.2013

Und wer hebt ihn wieder auf?

Die Welt um uns herum verändert sich in einem atemberaubenden Tempo. Und damit auch die Bedingungen, unter denen wir Journalistinnen und Journalisten arbeiten. Die Technologie entwickelt sich rasant, Leserinnen und User ändern ihre Mediennutzung grundlegend und mit Journalismus Geld zu verdienen wird immer schwieriger. Bislang haben Journalistinnen und Journalisten diesen Entwicklungen wenig bis gar nichts entgegengesetzt. Das ist ein grosser Fehler.

«Wird dein Beruf in Zukunft noch wichtig sein?» Auf diese Frage erhält man von einem Journalisten hoffentlich nur eine Antwort: «Aber sicher!» Insgeheim denkt der Gefragte sich dann vielleicht noch «was für eine doofe Frage!». Doch ändert man diese doofe Frage ein bisschen ab und fragt: «Wie stellst du sicher, dass Journalismus auch in Zukunft noch wichtig sein wird?» ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man darauf keine Antwort bekommt.

Für die Zukunft sind doch die andern da!

Denn bislang fühlen sich viele Journalisten nicht dafür verantwortlich, dass das, für das sie täglich ihr Herzblut hergeben, auch in Zukunft noch möglich ist. «Das ist nicht mein Business. Dafür sind die anderen da!», bekomme ich an Schulungen seit Jahren zu hören. Die Verleger etwa, oder der Leser / User / Zuhörer / Zuschauer. Aber auch Stiftungen, oder der Staat.

Alle andern sollen sich um die Zukunft kümmern, nur nicht wir Journalisten.

Doch ist es wirklich eine gute Idee, die Zukunft allein den andern zu überlassen? Leuten, die andere Interessen haben als wir Journalisten? Verlagsmanagern etwa, die ihren Shareholdern hohe Renditen versprechen? Oder unseren Lesern und Usern, die sich längst daran gewöhnt haben, Content gratis zu bekommen? Wollen wir die Zukunft Stiftungen oder dem Staat in die Hand legen, die ihre Ausrichtung ändern oder die Finanzierung streichen können?

Wollen wir auch in Zukunft gute Arbeit im Sinn von gutem Journalismus machen, müssen wir selber eine aktive Rolle übernehmen und an der Gestaltung der Zukunft mitarbeiten. Inhalte zu erstellen, die wir für gut befinden, reicht heute nicht mehr. Denn unsere Möglichkeiten «gute» Arbeit zu leisten werden durch drei Treiber immer mehr eingeschränkt: Technologische Entwicklungen, die sowohl den Konsum als auch die Produktion von Medien völlig umkrempeln, ökonomische Zwänge, die den Spielraum verkleinern sowie eine sich kaum vorhersehbar verändernde Mediennutzung:

 

Journalisten müssen mehr Verantwortung übernehmen!

Dass Journalisten die Zukunft nicht als ihr Problem anschauen, belegt auch eine Studie* der ZHAW zeigt. Die Studie basiert auf der von der «European Journalism Training Association» (EJTA) 2006 präsentierten «Tartu-Declaration», die 50 für die Ausbildung von Journalisten europaweit anerkannte Kompetenzen aufführt. Auf die Frage, welche Kompetenzen wichtig sind, haben 360 Chefredaktoren wie folgt geantwortet:

Rang

reliability

1

good general knowledge

2

showing initiative

3

ability to select information on the basis of reliability

4

ability to work under time pressure

5

ability to distinguish between main & side issues

6

ability to interpret selected information

7

knowledge of current events

8

willing to take criticism

9

ability to take responsibility for the product

10

 

Diese Rangliste zeigt deutlich: Für Chefredaktoren entscheidend sind Kompetenzen, die nahe am Kern der journalistischen Arbeit – der täglichen Content-Erstellung – sind. Kompetenzen, die helfen, die oben skizzierten Veränderungen im Umfeld des Journalismus anzugehen, gibt es in der Liste nur sehr wenige und die paar wenigen werden von den befragten Chefredaktoren als nicht wichtig erachtet:

Rang

having the will to interact with the public

24

ability to work with technical infrastructure

25

ability to stimulate debate

34

ability to work within budget limits

41

ability to organise contributions from the public

44

ability to cooperate with technicians

45

knowledge of market conditions

47

mastering the basics of layout

48

knowing the practical aspects of being a freelancer

49

ability to reflect on a future career

50

 

Es ist völlig nachvollziehbar, dass Chefredaktoren ihren Fokus auf die Bewältigung des hektischen Alltags legen. Schliesslich müssen immer mehr Redaktionen mit immer weniger Personal auskommen, die wegen zusätzlicher Kanäle und Social Media erst noch mehr Content liefern müssen. Da bleibt für die Zukunft keine Zeit, was – Hand aufs Herz – auch ganz praktisch ist, denn dann kann man sich darauf beschränken, diejenigen zu kritisieren, die etwas machen, obschon sie eigentlich auch keinerlei Garantie haben, dass das, was sie tun, auch gut wird

Mit dem Fokus auf die operativen Herausforderungen des Alltags jedenfalls werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern, ganz im Gegenteil. Damit leisten wir einen aktiven Beitrag an unsere Marginalisierung.

Wissen, Können, Wollen

In einer Welt, in der wir nicht wissen, wohin der Weg führt, brauchen wir erstens neue Kompetenzen im Umgang mit diesen Entwicklungen. Um konstruktiv einen Beitrag leisten zu können müssen wir wissen, wie wir den drei Treibern der Veränderung wirken, also welche Konsequenzen ökonomische Zwänge haben, wie die Technologie sich entwickelt und wie sich unsere Leser und User verändern:

 

 

In meiner Masterarbeit habe ich, basierend auf der Tartu-Deklaration und den oben präsentierten drei Treibern der Entwicklung, das in der Tartu-Deklaration festgeschriebene Anforderungsprofil an die Journalisten der Zukunft um zusätzliche Kompetenzen erweitert. Grob gesagt geht es um Kompetenzen aus den folgende Bereichen:

  • Grundsätzliches Interesse (an technologischen, wirtschaftlichen sowie die Nutzer betreffenden Entwicklungen) sowie der Wille, sich mit diesen Veränderungen auseinanderzusetzen.
  • Die (intellektuelle) Fähigkeit, daraus resultierende Erkenntnisse sinn-/nutzenstiftend (konstruktiv) einzubringen.
  • Die (handwerkliche) Fertigkeit, die nötig ist im effizienten Umgang mit den Folgen des Wandels (z.B. neue Tools).
  • Das Wissen darum, dass nicht alles, was möglich ist, auch journalistisch Sinn macht und ethisch sogar problematisch sein kann.

Genug gejammert!

Wollen wir Journalisten also auch in Zukunft das tun, was wir gut können und gerne tun – unsere Leser / User / Zuhörer / Zuschauer mit relevanten Informationen versorgen, Geschichten erzählen oder Skandale aufdecken – müssen wir uns dafür stark machen und unseren Beitrag leisten, auch wenn wir nicht wissen, was richtig ist und was falsch. Die anderen wissen es ebensowenig. Ein erster Schritt besteht darin, uns für die strategischen Fragestellungen zu kümmern, eine Meinung zu haben und diese einzubringen. Nicht für die Zeitung von heute, sondern für die Medien von morgen.

Bringen wir uns ein! Denn: Die Zukunft kann nur so gut sein, wie die Leute, die sie gestalten.

* kein Download. Koch, Carmen; Wyss, Vinzenz (2010): The weighting of different journalistic competences: A survey with European editors in chief. Winterthur: Projektbericht

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