03.05.2019

So findet deine Geschichte ihr Publikum – Checkliste und Tipps

Gute Geschichten brauchen Zeit. Zeit bekommen wir, wenn Geschichten sich lohnen. Etwa, weil wir damit ein breites Publikum erreichen. Unten findest du

die ich an einem Workshop von investigativ.ch an der Jahrestagung vom 19. Mai 2019 vorgestellt habe. Die folgende Checkliste kannst du hier als PDF herunterladen.

Nützliche Tipps


Die Checkliste ist eine Zusammenfassung von 23 Tipps, die dir helfen, ein grösseres Publikum zu erreichen:

1. Denk von Anfang an auch daran, wie du die Geschichte erzählst.

Die Recherche kann noch so gut sein: Wenn sie schlecht erzählt ist, findet sie ihr Publikum nicht. Deshalb lohnt es sich, von Anfang an darüber nachzudenken, wie du die Geschichte erzählen kannst. Tipps dazu findest du bei «Story based inquiry», auf deren Webseite kannst du auch das auf Deutsch übersetzte Handbuch dazu herunterladen.

2. Präsentiere nicht nur das Resultat sondern erzähl auch den Weg dorthin.

Wenn wir den Rechercheweg transparent machen, erhöht das nicht nur die Glaubwürdigkeit, es schafft auch Transparenz und sorgt für Spannung.

3. Sorge dafür, dass jeder Kanal mindestens einen kanalgerechten Titel / Lead / Teaser bekommt.

Auf mobilen Geräten ist der Titel entscheidend: Versteht der User, die Userin nicht auf Anhieb, worum es geht und welchen Nutzen er / sie daraus ziehen kann, wird die Geschichte viel schlechter gelesen.

4. Stell sicher, dass jede und jeder weiss, warum die Geschichte für sie / ihn wichtig ist.

Je digitaler das Publikum unterwegs ist, desto wichtiger ist es, dem Publikum von Anfang an klar zu machen, warum die Geschichte für ihn oder sie wichtig ist. Das geht am einfachsten, indem wir nicht mehr die Perspektive der Institutionen einnehmen, sondern die des Publikums.

5. Stell sicher, dass das Publikum immer weiss, was es bekommt.

Gerade recherchierte Geschichten umfassen oft mehrere Aspekte. In einem Print-Artikel sind diese auf den ersten Blick erkennbar, etwa weil sie als Boxen dargstellt werden oder als Infografik dargestellt werden. Gleicht ein Print-Artikel also einem Grundriss eines Hauses, bekommt man auf dem Handy nur einen Blick durch das Schlüsselloch des selben Hauses:

Online müssen wir die Erwartungen des Publikums im Titel und Lead berücksichtigen.

6. Führe dein Publikum durch eine jederzeit nachvollziehbare Struktur.

Struktur ist wichtig, weil sie Orientierung bietet, die gerade Online und vor allem Mobile nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist. Hier helfen zum Beispiel Zwischentitel, die aber Online im Gegensatz zum Print genau dort gesetzt werden, wo sie inhaltlich hingehören. Ein gutes Beispiel ist die Geschichte «Was passiert mit unseren Spenden – eine Umfrage zeigt grosse Unterschiede».

7. Nutze die Stärken der einzelnen Kanäle, um deine Geschichten (noch) besser zu erzählen.

Die verschiedenen Kanäle (insb. Online, Social Media) werden oft noch immer als nachgelagerte Distributionskanäle verstanden. Das greift zu kurz: Jeder Kanal hat seine Eigenheiten. Werden diese beachtet, kann die Reichweite erheblich vergrössert werden. Geschichten müssen deshalb kanalgerecht umgesetzt werden. Copy-Paste, den die meisten Redaktionen praktizieren, funktioniert nur in den seltensten Fällen. Zudem eignen sich Social-Media-Kanäle hervorragend, um Geschichten zu recherchieren.

8. Optimiere alles, was du online stellst, für mobile Geräte.

Alles, was auf dem Handy funktioniert, funktioniert auch auf dem Desktop prima. Umgekehrt nicht.

9. Setze multimediale Elemente nur dann ein, wenn sie einen erheblichen Mehrwert bieten.

Während wir im Print mit Layoutelementen verschiedene Einstiegsmöglichkeiten in einen Artikel geben wollen, müssen wir online dafür sorgen, Userinnen und User möglichst nicht in ihrem Lesefluss zu stören. Das erreichen wir, in dem wir nur multimediale Elemente einsetzen, die einen erheblichen Mehrwert liefern.

10. Setze Online jedes Element genau dort ein, wo es inhaltlich Sinn macht.

Multimediale Elemente sind integraler Bestandteil und ersetzen Text an einer ganz bestimmten Stelle. Deshalb gehören sie genau dort hin, wo sie inhaltlich Sinn machen.

11. Nutze die Kompetenzen von Kolleginnen und Kollegen für kanalgerechte Umsetzungen.

Die Online- und Social-Media-Kolleginnen und -Kollegen fristen in vielen Redaktionen ein Schattendasein und verbringen ihre Zeit damit, ganz am Schluss zu retten, was zu retten ist. Besser wäre es, sie von Beginn an einzubeziehen und ihre Ideen, ihr Wissen sowie ihre Ressourcen im Sinn der Geschichte einzusetzen.

12. Biete dem Publikum insbesondere Online und auf Social Media mehr direkten Nutzen.

Warum gehen die Menschen ins Internet? In ganz vielen Fällen, weil sie ein Problem haben, das sie lösen wollen, eine Frage, auf die sie eine Antwort suchen. Das prägt die Erwartungshaltung an Online-Inhalte. Es lohnt sich, nicht nur die Geschichte zu erzählen, sondern z.B. auch gleich eine Anleitung zu geben, etwa «So finden Sie heraus, ob auch Sie zu viel Krankenkassenprämien gezahlt haben».

13. Biete verschiedene Längen für verschiedene Bedürfnisse / Zeitbudgets.

Was passiert, wenn eine Userin oder ein user sich zwar für das Thema interessiert, aber nicht so viel Zeit hat? Gibt es eine Kurzversion? Oder zumindest eine Bulletpoint-Liste am Anfang des Artikels?

14. Biete unterschiedliche Formate für unterschiedliche Bedürfnisse.

Was passiert, wenn ein User zwar Zeit hat, aber gerade Auto fährt? Gibt es eine Audio-Version? Gibt es eine einfache Möglichkeit, Artikel maschinell vorlesbar zu machen?

15. Publiziere / poste / pushe deine Geschichte dann, wenn das Publikum Zeit hat.

Viele Geschichten, die auch im Print erscheinen, werden früh morgens Online gestellt. Aus der Überlegung heraus, den Print nicht zu kannibalisieren oder die Print-Abonnenten nicht zu benachteiligen. Es zeigt sich allerdings, dass längere und hintergründigere Artikel am Abend / am Wochenende besser gelesen werden. Es lohnt sich deshalb, die Geschichten erst am Abend zu pushen oder via Social Media und Newsletter zu verbreiten.

16. Stell sicher, dass die Geschichte länger auffindbar ist.

Mit eigenen Recherchen schaffen wir selber Aktualität, die wir dann in der Folge bewirtschaften. Je nach Tragweite der Geschichte flacht das Interesse seitens der Journalistinnen und Journalisten schnell wieder ab. Das heisst aber nicht, dass das beim Publikum so ist. Es lohnt sich deshalb, Geschichten zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu posten, z.B. «Falls Sie diese Geschichten diese Woche verpasst haben, sollten Sie die am Wochenende noch lesen.» Oder mit einer Rubrik Online «von der Redaktion empfohlen».

17. Sorge dafür, dass dein Beitrag Suchmaschinen-optimiert ist.

Frag im Online-Team nach, wenn du nicht selber weisst, worauf du achten musst.

18. Biete dem Publikum zu jeder Zeit Einstiegsmöglichkeiten in schon länger laufende Geschichten.

Eine weitere Herausforderung sind Geschichten, die sich über einen längeren Zeitraum weiter entwickeln. Wir publizieren dazu einzelne Beiträge, ganz in der Logik von Print, Radio oder TV, wo wir in abgeschlossenen Beiträgen denken müssen. Als User kann man die einzelnen Geschichten finden, vielleicht sind sie sogar verlinkt. Aber: Welches ist der relevanteste Artikel? Welche Informationen sind überholt? Online kann laufend aktualisiert werden, warum tun wir das nicht?

19. Denke an die unterschiedlichen potenziellen Reichweiten.

Via Social Media können wir rein theoretisch die ganze Welt erreichen. Bei Geschichten, die zwar lokal passiert sind, aber auch überregional interessieren, lohnt es sich deshalb, beim Titeln darauf zu achten, dass ein breiteres Publikum angesprochen wird.

20. Nutze Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Hashtags.

Hat die Geschichte eine gewisse Tragweite, wird sie von der SDA aufgenommen. Wir können aber auch selber andere Redaktionen informieren. Da hilft es, wenn wir umgekehrt die Geschichten der anderen sauber zitieren.

Online können Leute mit einem entweder grossen oder relevanten Netzwerk gute Dienste leisten. Kommen sie in der Geschichte vor, lohnt es sich, sie zu taggen. Man kann sie aber auch direkt anschreiben und eine Weiterverbreitung anregen.

21. Stell sicher, dass nicht nur viele, sondern auch die richtigen Leute deine Recherche mitbekommen.

Wir wollen aber auch die richtigen erreichen, diejenigen, die es in der Hand haben, z.B. einen aufgedeckten Missstand zu beseitigen. Reichweite ≠ Impact. Hier kann es helfen, die Recherche persönlich zu schicken, z.B. als Mail. (Ja, ich weiss, der Grat zwischen Journalismus und Aktvismus ist sehr schmal.)

22. Reich deine Geschichte für Journalistenpreise ein.

Eine Liste von Preisen findest du zum Beispiel hier.

23. Teil deine Recherche-Ideen früh und hole Kolleginnen und Kollegen ins Boot.

Es gibt immer wieder Themen, die wir zwar an einem Ort ausgraben, die aber die in anderen Regionen genau so ein Problem sind. Warum also nicht mit Kolleginnen und Kollegen zusammen arbeiten, in dem man sich die Methode teilt und so dem Thema mehr Aufmerksamkeit verschaffen kann?

Hab ich was vergessen? Falls ja freue ich mich sehr über ein Feedback (ich freu mich natürlich auch sonst!)

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