24.02.2013

Richtige Analyse, falscher Schluss

Am 6. Februar hat sich Joel Weibel in einem lesenswerten Artikel in der Medienwoche gefragt, ob er angesichts der Schwierigkeiten im Journalismus bleiben soll oder nicht. Diese Frage muss man sich stellen – als kritischer Journalist, als kritische Journalistin erst recht. Nur hat Weibel den falschen Schluss gezogen. Es gibt neben dem resignierten Bleiben und dem Ausstieg aber noch eine dritte Option.

«Should I stay or should I go», haben die britischen Punker von «Clash» schon 1982 gefragt. Dass sich junge Journalisten heute diese Frage stellen, ist mehr als berechtigt – ja sie ist bitter nötig. Ich weiss, was Weibel in seinem Post «Aussteigen oder bleiben?» meint. Ich bin rückblickend allerdings sehr froh, dass ich mir damals mit 25 nicht eine «neue», vermeintlich sichere Perspektive aufgebaut habe, sonst wäre ich heute wohl Kantilehrerin oder so etwas – nichts dagegen, aber mein Leben wäre sicher ganz anders verlaufen. Denn das, was ich heute mache, gab es damals noch gar nicht und selbst wenn es das gegeben hätte, ich wäre nie darauf gekommen. Und abgesehen davon: Ist es in der heutigen Zeit nicht etwas vermessen, mit Mitte 20 wissen zu glauben, was man mit 40 machen wird?

Ich (43) bin jedenfalls froh (siehe P.S. am Schluss), dass ich Wege gesucht und gefunden habe, das zu machen, was ich gerne mache: Journalismus, so wie ich ihn mir vorstelle. So habe ich 15 grossartige Jahre im Journalismus gehabt (davon zehn als auf Wirtschaft spezialisierte Freie, weil ich festangestellt nicht das machen konnte, was ich wollte. In dieser Zeit habe ich sieben Jahre als Korrespondentin in Russland verbracht). Und ich konnte mir – dank dieser Erfahrungen – erst noch eine neue Perspektive aufbauen (durch ein zweites Studium zwischen 38 und 40, das ich mir übrigens als Freie komplett selbst finanziert habe). Das alles kann ich nun miteinander verbinden und habe so einen Job, den ich mir mit 25 nie hätte ausdenken können.

Ja, die Zeiten haben sich verändert. Und sie werden sich noch weiter verändern. Und sie werden es mit grosser Wahrscheinlichkeit immer schneller tun. Wenn sich Weibel fragt, ob er gehen oder bleiben soll, vergisst er aber die dritte Möglichkeit, zu reagieren: Die Situation zu verändern. Die Frage ist natürlich: Kann ein Journalist das überhaupt? Die Antwort ist: Er kann kaum, aber er muss. Denn: sonst macht es niemand! Und wer geht, macht sich – unfreiwillig aber trotzdem – zum Komplizen der Totengräber unseres Berufes. Die Frage ist doch: Was ist ein Journalist? Einer, der nur bleibt, wenn ihm die Möglichkeiten geboten werden, das zu tun, was er für richtig hält und der, wenn es nicht mehr geht, einfach abzieht? Verstehen wir als Journalistinnen und Journalisten unsere Aufgabe nicht darin, Unzulänglichkeiten aufzudecken und deren Beseitigung einzufordern und zu kontrollieren? Laut, vehement und mit Nachdruck? Wie kommt es, dass wir, wenn es um unseren Job geht, die Exit-Strategie vorziehen?

Das soll klein Plädoyer fürs Bleiben sein: Mich haben einige der vielen Reaktionen auf Weibels Artikel sehr irritiert. Zum Beispiel: «(…) was soll ich dann sagen? Hab’s mit 30 Jahren gerade mal zu einem jener Unzulänglichkeiten verbreitenden Instant-Journalisten geschafft…» oder «Ich hab fünf Tage Akkordjournalismus hinter mir». Und weiter: «Ich bin heilfroh, bald in Rente gehen zu dürfen.»

Es gibt da draussen offensichtlich viele, die tun Dinge, von denen sie selber nicht überzeugt sind. Und sie tun es trotzdem. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mal ganz ehrlich: Wenn wir schon – salopp formuliert – selber Scheisse finden, was wir tun, warum soll das dann irgendjemand gut finden (und vielleicht sogar noch Geld dafür bezahlen wollen)?

Lasst uns doch mal darüber nachdenken, was es braucht, damit gute Leute bleiben. Ich behaupte nicht, dass das einfach ist. Ganz im Gegenteil. Aber bei «Should I stay or should I go?» heisst es ja auch: «If I go there will be trouble, if I stay it will be double.»

P.S.: Ich bin mir bewusst, dass ich als 70-Prozent-Angstellte am MAZ leicht reden habe. Aber ich glaube, dass meine Biographie zeigt, dass ich das, was ich fordere, auch selber gemacht habe. Dass ich es nicht mehr tue, hat damit zu tun, dass ich zwei Seelen in meiner Brust habe. Das MAZ bietet mir ganz andere Möglichkeiten, mich grundsätzlich für den Journalismus und die Weiterentwicklung unseres Berufs einzubringen, als ich das als Einzelmaske je hätte tun können.

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