22.05.2024

Künstliche Intelligenz im Journalismus – mit neun Fragen zur perfekten Aus- und Weiterbildung

Technologische Entwicklung hat schon immer Gräben geöffnet: zwischen Ausbildenden und Studierenden, zwischen der Branche und den Journalistenschulen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine journalistische Ausbildung in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) muss diese Gräben schliessen oder zumindest Brücken darüber bauen. Nur wie?

Dieser Text ist Teil der Abschlussarbeit für den CAS AI Management an der HWZ, den ich von Januar bis Jun 2024 absolviert habe.

Journalistenschulen, wie zum Beispiel das Institut für Journalismus und Kommunikation (MAZ), befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld – wie jede Institution, die junge Berufsleute ausbildet. Auf der einen Seite sind da unveräusserliche ethische Grundwerte und bewährte Routinen, auf der anderen Seite ein durch technologische Entwicklung verursachter Umbruch beim Nutzerverhalten, den Geschäftsmodellen und der Arbeitsweise.

Daraus entstehen Zielkonflikte, an denen man sich aufreiben oder gar verzweifeln könnte. Wir können sie aber auch nutzen, um weiterkommen.

Die Zielkonflikte, die weiter unten aufgeschlüsselt werden, stammen aus einer früheren Version dieses Denkansatzes und sind absichtlich als ODER-Fragen formuliert. Die Antworten werden immer auf eine UND-Lösung herauslaufen. Die ODER-Fragen helfen aber, das Spannungsfeld möglicher Ansätze besser sichtbar zu machen.

Was klar ist: Im Gegensatz zu anderen Zielkonflikten, die seit langem bekannt sind, bringt KI neue Spannungsfelder mit anderen Dimensionen hervor. Jede ausbildende Institution muss deshalb wissen, wo sie sich darin genau positioniert und wie sie mit dem Tempo der Veränderungen umgehen will.

Welche Haltung hat die Organisation zu KI?

Anders als bei den Fragen von vor acht Jahren stellt KI uns vor viel grundlegendere Herausforderungen, auch weil so vieles noch unklar ist. Damit die Verantwortlichen im Alltag auf die vielen Fragen, die kommen werden, die richtigen Antworten geben können, braucht es eine Haltung.

Folgende Fragen können helfen, diese Haltung zu entwickeln und Rahmenbedingungen zu definieren, die die Unsicherheit reduzieren können.

Q1 – Kann oder muss?

Die journalistische Kultur, der sich viele Aus- und Weiterbildungsinstitutionen verpflichtet fühlen, geht sehr zurückhaltend mit bindenden Verpflichtungen um. Können / sollen KI-Themen freiwillig sein?

Q2 – Verstehen oder können?

Reicht es aus, wenn Journalistinnen und Journalisten KI anwenden können oder müssen sie verstehen, wie sie funktioniert? Müssen sie wissen, wie maschinelles Lernen geht? Wie Algorithmen funktionieren?

Q3 – Für jetzt oder für später?

Im redaktionellen Alltag kommen Journalistinnen und Journalisten wenig in Berührung mit KI. Bilden wir unsere Studierenden für den heutigen Alltag aus oder für die Zukunft (wie wir sie uns vorstellen?)

Q4 – Agieren oder reagieren?

Sollen unsere Studierenden ihren Job mit Hilfe bestehender KI-Anwendungen gut machen können oder sollen sie selbst aktiv durch die Entwicklung von KI-Tools den Journalismus weiter vorantreiben können / wollen? Sollen wir unseren Studierenden jede neue Entwicklung vermitteln oder warten wir, bis sich etwas etabliert hat?

Q5 – Relevanz oder Reichweite?

Mit KI können wir unseren Output erhöhen. Andere können einfach Inhalte oder sogar Fakes erstellen. Was macht das mit unseren Produkten? Was sollen Journalisten und Journalistinnen im Kopf haben, wenn sie ein Thema bearbeiten? Die beste journalistische Umsetzung? Oder die maximale Wirkung?

Q6 – Journalistische Kernwerte oder Arbeitsmarktfähigkeit?

Sollen wir unsere Studierenden auf journalistische Kernwerte verpflichten oder sicherstellen, dass sie für eine Vielzahl von Jobs geeignet sind? Anders gefragt: Sollen sie als «reine» Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden oder auch als fachbezogene KI-Spezialist/innen?

Q7 – Spezialist/innen oder Allrounder/innen?

Der Einzug von Daten im Journalismus hat schon vor längerem zu neuen Jobprofilen geführt, z.B. Datenjournalist/innen. Neu kommen welche dazu wie die Rolle der Übersetzer/innen zwischen Redaktion und Technologie. Bilden wir unsere Studierenden als Spezialisten (einer Mediengattung, eines Genres) aus oder können sie von allem ein bisschen etwas und können auch Brücken bauen?

Q8 – Praktiker/innen oder Expert/innen?

KI ist auf Redaktionen noch wenig etabliert. Viele unserer Dozierenden haben wenig Berührungspunkte mit KI, sie geben in ihren Kursen Einblick in ihre Praxis. Sollen unsere Studierenden von Leuten unterrichtet werden, die in der Praxis arbeiten oder von solchen, die Expertise in KI haben?

Die Frage stellt sich übrigens auch für die Geschäfts- und die Studienleitung des MAZ. Und für die Administration. Und vor allem stellt sie sich für alle, die ihre Ausbildung schon vor einiger Zeit absolviert haben oder «on the job» gelernt haben.

Und wie mit dem Tempo Schritt halten?

Selbst wenn die Fragen oben gewissenhaft beantwortet wurden: Wie schafft es die Institution mit den rasanten Entwicklungen Schritt zu halten? Hier hilft eine gute Vernetzung mit externen Expertinnen und Experten, klare Zuständigkeiten intern für das Thema und eine hohe Durchlässigkeit für Neues.

Als herausfordernd dürfte sich bei längeren Kursformaten auch die Koordinierung von vermitteltem Wissen herausstellen. Wie können Redundanzen im Unterricht vermieden werden? Hier bedarf es einer Koordination im Alltag.

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