Der Newsroom hatte noch nie einen guten Ruf. In den letzten Wochen allerdings ist er regelrecht in Verruf geraten. Zu Unrecht, wie ich* finde. Denn richtig eingesetzt kann ein Newsroom den Journalismus in der aktuellen Situation stärken. Eine Replik auf den Wochenkommentar von Matthias Zehnder vom 10. August 2018 und ein Plädoyer für einen differenzierteren Umgang mit der Organisationsform «Newsroom».
Es ist ein düsteres Szenario, das Matthias Zehnder in seinem neusten Wochenkommentar zeichnet: Der Journalismus, warnt er, werde im Newsroom industrialisiert. Und die Industrialisierung sei der Tod des Journalismus. Er ist nicht der einzige Warner. Rund um den geplanten SRF-Newsroom sind unter dem Stichwort «Informationsfabrik» (Robert Ruoff in der Medienwoche) ebenfalls heftige Diskussionen entbrannt.
Update 14.8.13.15 Uhr: Matthias Zehnder hat eine lesenswerte Replik geschrieben.
Mich erstaunt die Vehemenz. Vor allem auch deshalb, weil es kaum einen schwammigeren Begriff gibt und eigentlich jeder etwas anderes unter «Newsroom» versteht.
Der Begriff, der im englischsprachigen Raum einfach «Redaktion» bedeutet, scheint ein geeigneter Blitzableiter zu sein für diffuse (berechtigte!) Ängste und Frustrationen: über mangelnde / schlechte Kommunikation (wie z.B. im Fall SRF) oder über strategische Entscheide (wie etwa Tamedia oder Ringier).
Man kann einen Newsroom salopp als «turnhallengrosses Grossraumbüro für Journalisten» abtun, wie Matthias Zehnder, den ich sonst sehr für seine differenzierte Betrachtung schätze, in seinem Kommentar tut. Aber diese Kritik, genau so wie die der «Informationsfabrik», greift viel zu kurz und verstellt den Blick für die notwendige Auseinandersetzung mit Organisationsformen, die eine Transformation journalistischer Produktion ins digitale Zeitalter ermöglichen.
Natürlich kann man argumentieren, dass nach Kanal getrennte Redaktionen viel besser sind. Wenn man sich das leisten kann / will, kann man das gerne machen (die «Zeit» handhabt das ja mit Erfolg so). Mit einem ABER: Es braucht für den Online-Auftritt eine eigenständige Online-Redaktion. Denn sobald ein digitale Angebote mit Inhalten bestückt werden, die für andere Kanäle konzipiert wurden, ist Online im besten Fall ein gut gepimptes Flickwerk, aber sicher kein zukunftsträchtiges Angebot, das ein jüngeres Publikum anspricht und es vielleicht sogar dazu bringt, für Inhalte zu bezahlen.
In meinem Verständnis ist ein Newsroom eine Organisationsform, die es erlaubt, den Output journalistischer Inhalte über verschiedene unter einer Marke angebotenen Kanäle besser zu koordinieren. Das ist aus verschiedenen Gründen sinnvoll:
- Veränderte Mediennutzung: Ein immer grösserer Teil des Publikums nutzt Medieninhalte auf einem digitalen Distributionskanal. Online kann / ist mehr als copy-paste von für angestammte Kanäle hergestellte Inhalte.
- Veränderte Produktionstechnologie: Uns stehen digitale (konvergente / multimediale) Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung.
- Konvergenztaugliche journalistische Bausteine, wobei gilt: Text ≠ Print, Audio ≠ Radio, Video ≠ TV
- Veränderte wirtschaftliche Bedingungen: Mehr Ressourcen werden wir wohl länger nicht mehr bekommen.
Der Newsroom, der den journalistischen Output über die verschiedenen, unter einer Marke versammelten Kanäle koordiniert, ist also viel mehr als ein grosser Raum. Er steht für eine neue Logik:
- Kanal 1. Geschichte
- Geschichte 2. Kanäle
Im Zentrum der Newsroomlogik steht nicht mehr der Kanal, sondern das Ereignis, das Thema, das journalistisch wichtig ist und das durch journalistische Bearbeitung zu eine Geschichte verdichtet wird. Was dazu wann, wie auf welchem Kanal publiziert wird, ist nicht mehr nur abhängig von technischen Vorgaben (wie Sendeanlagen auf dem Dach, einer Druckmaschine im Keller oder angekündigten Sendezeiten). Sondern davon, ob zum Beispiel zum Thema etwas Wichtiges passiert ist, das das Publikum wissen muss oder nicht. Und ob eine sofortige Einordnung wichtig ist oder nicht.
Für mich ist diese neue Logik ein riesiger Schritt in die richtige Richtung.
Mit Newsrooms – da bin ich total einverstanden – kann man ganz viel Unfug anstellen. Das ist aber nicht das Problem von Newsrooms, die Inhalte für verschiedene Kanäle produzieren (integrierte Newsrooms), sondern der Führung der Redaktion. Dass Newsroom-Strukturen die Chefinnen und Chefs vor grosse Herausforderungen stellt, muss auch nicht schöngeredet werden. Was dieses Konstrukt insbesondere anspruchsvoll macht, ist die Matrix, die in einer solchen Organisationsform angelegt ist. Ein Thema / die Umsetzungen muss in zwei Dimensionen funktionieren:
- für einen einzelnen Kanal im Kontext von anderen Themen / Geschichten,
- über alle Kanäle hinweg.
Das verändert die Machtstruktur, die Deutungshoheit und tangiert das journalistische Selbstverständnis. Das erklärt meiner Meinung nach, warum Newsrooms so unbeliebt sind. (Dazu, warum sich das journalistische Selbstvertändnis ändern muss, habe ich schon früher etwas geschrieben.)
In einem Newsroom muss entschieden werden:
- welche Geschichte (welche nicht) bringen wir unserem Publikum
- wie erzählt
- auf welchem Kanal
- wann?
Und weil Journalismus immer auch eine Ressourcenfrage ist, müssen bei der Planung folgende Fragen mit einbezogen werden:
- Wer macht welche Elemente einer Geschichte
- mit welchen Ressourcen und
- welcher Infrastruktur?
Will man, dass die Kolleginnen und Kollegen bei immer knapper werdenden Ressourcen so viel Zeit wie möglich in die Einordnung stecken können, muss da, wo es möglich ist, effizient gearbeitet werden. Sich zu überlegen, welche Inhalte für verschiedene Kanäle genutzt werden können und in der Folge nur einmal hergestellt werden können, finde ich deshalb mehr als angebracht.
Zehnders Kritik zu diesem Ansinnen finde ich masslos übertrieben: «Jede/r im Team produziert kleine Einzelstücke. Für die Zeitung werden Grafiken, Bilder, Zitate der Protagonisten und ein erzählendes Stück wie Legosteine zu einer Zeitungsseite zusammenmontiert. Im Web, für das Mobiltelefon und in den Sozialen Medien werden die Legosteine einzeln publiziert.»
Journalismus ist kein Selbstzweck, sondern muss dem Publikum dienen. Einfach Legosteine online zu stellen wird nicht funktionieren, weil sich das Publikum nicht damit abspeisen lässt. Auch Effizienz ist kein Selbstzweck. Wichtig ist, dass Effizienz-Entscheidungen aufgrund journalistischer Kriterien und mit dem Publikum im Blick gefällt werden.
Zwei Beispiele:
- Wenn man zum Schluss kommt, dass eine Grafik mobile hoch- und für die Zeitung querformatig am meisten Sinn macht, dann müssen zwei Grafiken gebaut werden. Vielleicht stellt sich dann heraus, dass die hochformatige Grafik bis jetzt einfach ungewohnt war, aber auch im Print gut funktioniert und man deshalb etwas mehr Aufwand reinstecken kann?
- Müssen für Quotes einer Pressekonferenz wirklich Radio- und TV-Kollegen anwesend sein? Falls Nachfragen wichtig sind, kann das der TV-Kollege übernehmen? Wenn nein, dann gehen zwei, sonst nicht.
Nur ein Newsroom kann eine solche Koordination leisten. Und nur in einem Newsroom ist es möglich, kleinste gemeinsame Nenner zu finden.
Und ja: Journalismus wird mehr zur Teamarbeit. Das auch deshalb, weil nicht nur der einsame Rechercheur gute Geschichten macht oder weil es Themen gibt, die keinen Feierabend kennen. Was macht uns so sicher, dass im Journalismus Teamarbeit nicht auch zu besseren Resultaten führen kann?
Das gilt übrigens auch für Organisationsformen journalistischer Produktion, wie das Beispiel der «Republik» zeigt.
Wir sitzen alle im selben Boot. Und die Wahrheit ist: Wir kennen alle die Lösung nicht. Und die Lösung wird kein Zustand sein, sondern ein sich dauernd weiter entwickelnder Prozess. Im Moment ist der Newsroom meiner Meinung nach die beste Organisationsform, um solche Aufgaben zu managen.
Ein Newsroom kann aber nur so gut sein, wie die Leute, die ihn machen und betreiben. In diesem Sinn: Auf eine differenziertere Diskussion und vor allem: frohes Tun!
* Disclaimer: Ich habe seit 2009 beim Aufbau verschiedener Newsrooms mitgearbeitet (siehe www.alexandrastark.ch). Bei meinen folgenden Überlegungen fliessen diese Erfahrungen sowie Einsätzen der letzten drei Jahre beim «Landboten», der «Südostschweiz» oder dem «St.Galler Tagblatt» ein. Wichtig: Ich sage nicht, dass die Newsrooms, die im Betrieb sind, perfekt sind. Ich teile viele Vorbehalte. Aber nicht am Newsroom generell, sondern an der Umsetzung.
Herzlichen Dank für die ausführliche Replik. Ich habe hier darauf geantwortet: https://www.matthiaszehnder.ch/journalismus/die-newsroom-diskussion-eine-antwort-an-alexandra-stark/