16.07.2016

Mit 10 Fragen zur perfekten Journalistenausbildung

Die Entwicklung der Branche öffnet Gräben: zwischen Ausbildnern und Studis, zwischen der Branche und den Journalistenschulen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine journalistische Ausbildung mit Zukunft muss diese Gräben schliessen oder zumindest Brücken darüber bauen. Nur wie?

Journalistenschulen, wie das MAZ, wo ich ja auch arbeite, befinden sich, wie jede Institution, die junge Berufsleute ausbildet, in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite sind da unveräusserliche Grundwerte und bewährte Routinen, auf der anderen Seite ein durch technologische Entwicklung Umbruch beim Nutzerverhalten, den Geschäftsmodellen und der Technologie.

Daraus entstehen Zielkonflikte, an denen man sich aufreiben oder gar verzweifeln kann. Wir sollten sie aber nutzen, um weiterkommen. Die Zielkonflikte, die weiter unten folgen, sind absichtlich als ODER-Fragen formuliert. Die Antworten werden natürlich immer auf eine UND-Lösung herauslaufen, die aber zwischen den beiden Extremen gewichtet werden müssen. Mit einer ODER-Frage wird aber das Spannungsfeld möglicher Ansätze besser sichtbar.

10 Fragen für eine Journalistenausbildung der Zukunft

«Puh, wie banal!», werden Sie sich vielleicht beim Lesen der Fragen denken. Leider ist ganz vieles total banal. Trotzdem wird es nicht beherzt. Beantwortet man die Fragen aber, zeigt sich, dass die Antworten weitreichende Konsequenzen haben, die alles andere als banal sind: bei den Kursinhalten, bei Dozierenden, bei der Infrastruktur, der Organisation, etc.

Q1 – Für jetzt oder für später?
Bilden wir unsere Studierenden für den heutigen Alltag aus oder für die Zukunft (wie wir sie uns vorstellen)?

Q2 – Agieren oder reagieren?
Sollen unsere Studierenden ihren Job gut machen können oder sollen sie selber aktiv den Journalismus weiter vorantreiben können / wollen?

Q3 – Als Gatekeeper oder «Sensemaker»?
Vermitteln wir unseren Studierenden ein Rollenbild als Gatekeeper oder als Sinnstifter? Oder anders gefragt: Soll Journalismus (um Jeff Jarvis zu zitieren) ein Produkt sein oder ist Journalismus nicht doch eher eine Dienstleistung?

Q4 – Relevanz oder Reichweite?
Was sollen Journalisten im Kopf haben, wenn sie ein Thema bearbeiten? Die beste journalistische Umsetzung? Oder die maximale Wirkung?

Q5 – Journalistische Kernwerte oder Arbeitsmarktfähigkeit (Haltung oder Handwerk)?
Sollen wir unsere Studierenden auf journalistische Kernwerte verpflichten oder sicherstellen, dass sie für eine Vielzahl von Jobs geeignet sind? Anders gefragt: Sollen sie als «reine» Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden oder auch PR lernen?

Q6 – Spezialisten oder Allrounder?
Bilden wir unsere Studierenden als Spezialisten (einer Mediengattung, eines Genres, eines Themas) aus oder können sie von allem ein bisschen etwas?

Q7 – Festanstellung oder Selbständig?
Bereiten wir unsere Studierenden auf eine Karriere in einem Medienhaus vor oder auf ein Leben als Freie oder Freier?

Q8 – Praktiker oder Experten / Akademiker?
Sollen unsere Studierenden von Leuten unterrichtet werden, die in der Praxis arbeiten oder von solchen, die den Journalismus beobachten und untersuchen?

Q9 – Innovatoren oder Nachzügler?
Sollen wir unseren Studierenden jede neue Entwicklung vermitteln oder warten wir, bis sich etwas etabliert hat? Oder anders gefragt: Treiben wir die Entwicklung oder übernehmen wir Bewährtes?

Q10 – Schule oder Labor?
Vermitteln wir Bewährtes oder lehren wir, Neues zu schaffen?

Haltung immer wieder alltagstauglich machen
Die meisten Antworten werden natürlich sowohl-als-auch lauten. Jede ausbildende Institution muss die Frage beantworten, wo sie sich genau im Spannungsfeld positioniert. Denn Journalistenschulen tun gut daran, ihr Profil immer wieder zu schärfen und es auf seine Alltagstauglichkeit zu überprüfen. Ein Beispiel: Journalistische Kernwerte und Grundhaltungen sind am MAZ nicht verhandelbar. Der Umkehrschluss, dass wir deshalb darüber nicht dauernd reden müssen, ist aber trotzdem nicht richtig. Denn diese Werte müssen in die sich immer schneller verändernde Welt übersetzt werden – als Prozess, der nie mehr fertig sein wird.

P.S.: Vielen Dank den Kollegen von Vocer.org, für die wir einen Artikel zum Thema schreiben konnten. Diese Anfrage hat mich animiert, endlich mit der schon lange gehegten Idee vorwärts zu machen!

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