Wer fragt, bekommt dank KI sofort eine Antwort. Einfach, plausibel, persönlich. Was macht das mit dem Journalismus?
LinkedIn, Medium und wie sie alle heissen sind voll davon: Untergangsszenarien, wie Chatbots die Geschäftsmodelle von Medien zerstören. Das beschäftigt mich auch. Vor allem aber interessiert mich, was die KI-Revolution mit dem Journalismus selbst macht. Mit meiner Arbeit. Mit meinem Selbstverständnis. Mit meinem Publikum.
Wir schauen in die falsche Richtung
In den Redaktionen sind wir alle total beschäftigt: Wir prüfen, wie KI unsere bestehenden Prozesse effizienter machen kann. Brauchen wir noch ein Korrektorat, Layouter oder Produzenten?Welchen Teil unserer Arbeit können wir KI überlassen? Welchen auf keinen Fall? Diese Fragen sind wichtig. Aber sie greifen zu kurz. Denn während wir darüber diskutieren passiert die wahre Revolution nicht bei uns, sondern bei unserem Publikum.
Unsere Nutzerinnen und Nutzer auf den digitalen Kanälen verändern sich gerade fundamental. Sie gewöhnen sich daran, Informationen nicht mehr zu suchen, sondern zu bekommen. Chatbots beantworten ihre Fragen direkt – klar, plausibel und in natürlicher Sprache. Kein Durchklicken durch eine lange Liste von Treffern mehr, kein Hängenbleiben an einer Paywall, keine schön erzählte Geschichte wenn man eigentlich nur eine Info möchte, kein längliches Intro, wenn man nur an Fakten interessiert ist.
Sondern nur: eine Frage – eine Antwort.
Das ist unfassbar praktisch. Eine richtige Killer-Applikation.
Die Macht der plausiblen Antwort
Chatbots liefern plausible Antworten, Plausibilität fühlt sich immer richtig an, auch wenn sie es nicht ist. Dadurch wird auch Komplexität unsichtbar, indem sie elegant reduziert wird.
Die Illusion der Informiertheit
Kommt dazu: Eine Antwort, die genau auf meine Frage passt, vermittelt mir das Gefühl, alles zu wissen. Zufriedenheit ersetzt Richtigkeit. Vertrauen wandert von Journalistinnen und Experten zu Plattformen und Algorithmen.
Und weil die Antworten in natürlicher Sprache kommen, klingt das Ganze auch noch persönlich und empathisch. Das schafft Nähe. Nähe schafft Vertrauen. Vertrauen, das, wie neue Studien zeigen, oft nicht gerechtfertigt ist.
Wenn Antworten wichtiger werden als Quellen
Ich frage mich:
- Was bedeutet das für uns Journalistinnen und Journalisten? Bis jetzt liefern wir abgeschlossene Inhalte: Artikel, Reportagen, Analysen.
 - In Zukunft erwarten Nutzerinnen und Nutzer Antworten. Zugeschnitten auf ihre individuelle Frage.
 - Müssen wir also Inhalte so aufbereiten, dass sie «richtige» Antworten ermöglichen? Geht das überhaupt?
 - Müssen wir Wissen in maschinenlesbarer Form aufarbeiten, damit Chatbots darauf zugreifen können?
 - Werden wir zu Architektinnen von Wissensräumen, die von Chatbots angezapft werden, um je nach Kontext Podcasts, Textbausteine oder Videos zu generieren?
 
Das hätte Folgen: Journalistinnen würden zwar weiterhin Information und Kontext liefern, hätten aber keine Kontrolle mehr darüber, wie und wo ihre Arbeit ausgespielt wird. Und auch nicht, ob das, was angezeigt wird, stimmt.
Heute trage ich als Journalistin die Verantwortung dafür, dass das, was unter meinem Namen erscheint, stimmt. Wer trägt dann die Verantwortung, wenn Plattformen bestimmen, welche Antwort, zusammengemischt aus vielen verschiedenen Quellen, angezeigt wird? (Zum Glück hat der Bundesrat vor ein paar Tagen endlich die Vernehmlassung zum neuen Gesetz über die Regulierung von Plattformen und Suchmaschinen gestartet).
Die eigentliche Frage
Die entscheidende Frage ist also nicht, ob KI den Journalismus verändert. Sondern wie wir journalistische Inhalte in eine Welt tragen, in der Antworten wichtiger sind als Quellen. Ich habe ein paar Ideen, die aber noch nicht ausgereift sind. Hast du auch welche und hast du Lust auf einen Austausch? Dann melde dich doch bei mir! mail@alexandrastark.ch
            
Guter Text! Wenn man es umdreht. Vielleicht sollten Journalisten in Zukunft wieder mehr Fragen stellen?
Liebe Alexandra, gute Gedanken, und v.a. gute Fragen, z.B. „Werden wir zu Architektinnen von Wissensräumen, die von Chatbots angezapft werden, um je nach Kontext Podcasts, Textbausteine oder Videos zu generieren?“
Doch: Sind wir das nicht längst?
Ich jedenfalls finde in letzter Zeit regelmässig Zitate von mir in den ersten (KI-generierten …) Suchtreffern von Google. Alphabet macht Kohle mit meiner geistigen Leistung. Im letzten Quartal hat Google 35 Milliarden USD mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum anderer verdient; in Form von maschineller Bereitstellung von Suchresultaten mittels Zugriff auf Daten, die eigentlich anderen gehören – und das ohne irgendeine Form der Zustimmung. KI ist vor allem Datenklau „next level“ und was ich nicht verstehen kann, ist dass die Erschaffer und Besitzer dieser Daten, sprich Verlage, Universitäten, Journalistinnen, Künstler, Forscherinnen nicht dagegen wehren, sondern die Rendite aus ihrer geistigen Tätigkeit einfach so anderen überlassen: den Technologiebesitzern. Robert Altmann von OpenAI hat gerade in einem Interview davon gesprochen, dass er die Einnahmen aus ChatGPT verachtfachen will, auf 100 Milliarden, bis 2027! Den Geldsegen kriegen dann die Aktionäre (also MSFT), nicht die eigentlichen Wissensarbeiter. Da läuft gerade was ganz schief im Staate und niemand guckt so richtig hin … Als Journalist Antworten liefern zu wollen auf Prompts (Fragestellungen …) der Leserschaft, die diese ja schon innert Sekunden von einem Bot bekommen, scheint mir da nicht die richtige Srrategie. Der Komplexitätsreduktion der maschinellen Datenverarbeitung wieder Denktiefe gegenüberzustellen, gepaart mit unmaschinellen menschlichen Zügen wie Empathie, Ethik, ja auch Transzendenz und Numinosität hingegen schon. Es wird darum gehen, Resonanzräume zu schaffen, wie sie ein Rechenzentrum nicht hinkriegt …