23.04.2019

So planst du eine multi- und crossmediale Geschichte – eine Anleitung in 12 Schritten

1. Denk in Geschichten. Und nicht in Kanälen

In einem ersten Schritt macht es Sinn, nur in Geschichten zu denken. Wenn wir von Anfang an Kanälen denken, dann schränken wir die Möglichkeiten des multimedialen Storytellings ein. Und das wäre ja schade!

Stell dir also also als erstes die Frage, welche Geschichte du erzählen möchtest (formuliere deinen Aussagewunsch).

2. Hab eine einfache Antwort parat auf die Frage «Warum erzähle ich die Geschichte?»

Unsere Absicht ist dabei nur ein Argument. Wichtig sind auch die Interessen und die Bedürfnisse unseres Publikums. Denn wenn sie das Thema nicht interessiert oder sie statt News lieber Hintergrund hätten, dann werden wir sie mit unserem Beitrag nicht erreichen.

Wenn wir von unserem «Publikum» oder unseren «Userinnen und Usern» reden, dann geht gerne vergessen, dass diese ganz viele verschiedene Interessen auf sich vereinen. Wir können sie ansprechen als:

Ebenso unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse. Unser Publikum will zum Beispiel …

Beantwortest du also die Frage nach dem «Warum» mit einem Satz, der so beginnt: «Ich will, dass mein Publikum …», dann bekommst du Hinweise darauf, wie du deine Geschichte erzählen kannst:

Indem du deine Absicht noch genauer beschreibst, kannst du auch Hinweise auf den Fokus, die Länge und die Ausführlichkeit gewinnen. «Ich möchte, dass mein Publikum die drei zentralen Argumente der Gegner kennenlernt» führt zu einer anderen Umsetzung als «ich möchte, dass mein Publikum alle Argumente kennenlernt».

3. Nutze dein Vorwissen zu Storytelling

Alles, was grundsätzlich beim Storytelling gilt, gilt auch Online. Mit einer Ausnahme: Online müssen wir mehr Leserführung bieten, da die Userinnen und User – anders als z.B. im Print – nicht wissen, was sie alles erwartet.

Wer sich mit Storytelling allgemein beschäftigen will, dem empfehle ich das Buch «Storytelling für Journalisten» von Marie Lampert und Rolf Wespe.

4. Bestimme, welche multimedialen Elemente in deiner Geschichte Sinn machen

Finde heraus, welchen Teil der Geschichte du am besten mit welchem multimedialen Element erzählst. Dazu helfen dir in einem ersten Schritt  die 4 Fragen für eine erste Annäherung. Was will man in deiner Geschichte …

  1. sehen?
  2. schauen?
  3. hören?
  4. lesen?

Am MAZ haben wir ein Tool entwickelt, das dir bei der Bestimmung bestimmter Formate helfen kann. So sieht es aus:

Zur Anleitung, wie du es nutzt, geht es hier lang.

5. Überleg dir, wie viel Zeit und welches Interface das Publikum zur Verfügung hat

Wir sind oft ganz begeistert von unseren Geschichten, deshalb braucht es immer den «Reality-Check»: Wie viel wollen die Leute wirklich darüber wissen? Und falls wir unsere Geschichten auch noch z.B. im Print unterbringen wollen. Wollen die Leute am Handy gleich viel zum Thema wissen wie auf einer Zeitungsseite?

6. Entscheide: Auf welchen Kanälen kannst du welches Publikum erreichen?

Wir sind uns gewohnt, die Kanäle zu beispielen, die wir haben. Aber Hand aufs Herz: Sind wirklich alle Geschichten für alle Kanäle gleich geeignet? Macht es Sinn, verschiedene Versionen zu machen? Oder bei bestimmten Themen auf einen Kanal ganz zu verzichten?

7. Reduziere die multimedialen Elemente (plan verbindlich und plan den Verzicht mit)

Nicht nur wir Journalistinnen und Journalisten kommen beim multimedialen Produzieren ressourcenmässig an unsere Grenzen. Wir riskieren auch, unserer Userinnen und User zu überfordern. In den meisten Fällen macht es also Sinn, die Umsetzung zu vereinfachen.

Dabei musst du abwägen: Für wen soll die Umsetzung sinnvoll sein? Für dich oder für das Publikum? Auf den ersten Blick scheint das eine absurde Frage, aber viele Redaktionen stellen sich diese Fragen nicht und optimieren ihren Output entlang interner Ressourcen und nicht an den Bedürfnissen des Publikums.

Hier ein paar Fragen, die helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Selektiere im Sinn:

  1. des Zielpublikums (wie spät ist es, wie viel Zeit hat unser Publikum, welches Interface/Bildschirmgrösse steht zur Verfügung)
  2. des Inhalts (was ist zentral)
  3. der Verständlichkeit
  4. des Mediums
  5. der Usability (ist klar / logisch aufgebaut, Orientierung ist überall einfach möglich, wiedererkennbare Elemente / Routinen sind erkennbar, lädt schnell, funktioniert technisch einwandfrei
  6. der Ressourcen

8. Schreib/mal auf, wie deine Geschichte aussehen könnte

Das ist besonders bei aufwendigeren Elementen oder wenn du crossmedial arbeitest wichtig. Diese Überlegungen helfen dir auch, wenn du mit deinem Chef, deiner Chefin über Ressourcen feilschen musst! Das kann (zum Beispiel) so aussehen:

Manchen hilft es, ihre Geschichte aufzuzeichnen. Dazu eignen sich etwa Flipcharts. Wer es lieber digital mag, dem seien Evernote (Onenote) oder auch Powerpoint empfohlen.

9. Bestimme den genauen Inhalt der einzelnen Elemente.

Deine Geschichte braucht also eine Karte, ein Foto und ein Video? Gut! Aber: welchen Ausschnitt wählst du für deine Karte genau? Was ist auf dem Foto alles zu sehen? Und was genau zeigst du im Video?

Folgende Fragen können helfen:

  • Worum geht es? Schaufle den Kern frei und formuliere eine Aussage mit einem starken Verb und ohne Nebensatz.
  • Was genau interessiert den User, die Userin? Nimm die Aussenperspektive ein.
  • Was darf der User, die Userin alles nicht wissen? Priorisiere, priorisiere, priorisiere.

Diese Arbeit ist extrem wichtig, weil sie dir zeigt, was du alles noch organisieren musst (Genehmigungen, Schauplätze, Infrastruktur, etc.) und wie du deine Protagonisten briefen musst (dass sie mehr Zeit haben müssen, dass sie etwas Bestimmtes mitbringen sollen, etc.).

Diese genaue Erarbeitung ist auch aus einem weiteren Grund wichtig: Falls du Unterstützung von anderer Seite brauchst in einem Team arbeitest, kannst du deine Kolleginnen und Kollegen besser briefen.

Stell sicher, dass für die Geschichte zentrale Umsetzungen auch wirklich klappen (z.B. dass die Protagonisten einverstanden sind, dass du sie filmst).

10. Hole dir, fass du die Inhalte nicht selber machen kannst, so früh wie möglich Leute ins Boot.

Dies gilt insbesondere für vielbeschäftigte Kolleginnen und Kollegen z.B. von der Grafikabteilung, die nicht kurzfristig liefern können.

11. Nutze vorhandenes Material (besser)

Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag multimedialer Inhalte stimmt deshalb oft nicht, weil sie einmalig eingesetzt werden.

Der Fokus von Redaktionen liegt bislang online ganz eindeutig beim schnellen Publizieren. Was Medienhäuser aber vom Rest des Netzes unterscheidet, ist das verlässliche Wissen, das über eine lange Zeit nachvollziehbar und glaubwürdig erarbeitet wurde. Für Themen, die für das Medium zentral sind, lohnt es sich deshalb, bereits Publiziertes zu bündeln. So bleibt aufwändig Produziertes länger auffindbar und das Verhältnis von Aufwand und Ertrag fällt besser aus.

Es gibt oft hervorragendes Material, auf das du zurückgreifen kannst. Im hauseigenen Archiv etwa, bei Institutionen oder Unternehmen. Es lohnt sich, früh darüber nachzudenken, wer Material haben könnte, denn oft muss es noch zusammengesucht oder sogar digitalisiert werden. Und das dauert.

Nutze eigenes Material

Warum werden Fotos der eigenen Fotografen allerhöchstens in lieblose Bildstrecken verpackt statt – falls das Thema geeignet ist – die Geschichte online über Bilder mit längeren Bildlegenden zu erzählen? Oder digitale Inhalte: Strukturierte Interviews mit Politikerinnen und Politikern, die zur Wahl stehen, kann man in ein Porträt einbinden, einzelne Aussagen zu einem Sachthema als Zitate in einer sachspezifischen Geschichte bringen.

Nutze fremdes Material

Die Fülle an Material ist heute unerschöpflich. Unternehmen etwa verfügen über Bilder, Wissenschaftler über Daten und Visualisierungen, Institutionen über Zahlen. Das Beschaffen braucht oft auf der Seite derjenigen Zeit, die das Material zur Verfügung stellen. Auch das Abklären der Rechte dauert oft länger. Es lohnt sich aber, weil Ressourcen für anderes verwendet werden können. Nicht vergessen: Fremdmaterial als solches kennzeichnen!

Achtung beim Einsatz von Fremdmaterial:

  • Qualität: Bist du sicher, dass du nicht instrumentalisiert wirst?
  • Deklaration: Immer deklarieren, woher das Material stammt.
  • Rechte: Hast du die Rechte, dieses Material zu brauchen?

12. Plan deine Recherche

Stell dir vor, du stehst mit einem alten Bauern im Stall, er erzählt dir von seinen ersten Alpaufzügen, während seine Enkel noch einmal kontrollieren, ob die Blumengestecke gut sitzen. Plötzlich dann das Signal: Es geht los! Als Print-Journalistin oder -Journalist kannst du dich mittreiben lassen. Mit Buchstaben lässt sich alles auch später rekonstruieren. Für das Video mit den Vorbereitungsarbeiten und die Fotos bist du aber zu spät.

Beim multimedialen Arbeiten ist deshalb eine minutiöse Planung aus drei Gründen unumgänglich:

  1. Damit du sicher genügend und das richtige Material zurückbringst.
  2. Damit du weisst, was du wann machen musst und was wie viel Zeit braucht (nicht nur bei der Recherche, sondern auch bei der Umsetzung).
  3. Damit du die richtigen Tools und die richtige Infrastruktur zur Verfügung hast.

Ganz wichtig: Leg schon im Vorfeld fest, auf welche Inhalte und Formate du verzichten möchtest. Das gibt dir Zeit, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Stell sicher, dass die zentralen Elemente deiner Geschichte auch umsetzbar sind. Bestimme früh, welche Elemente ein Must-have sind und ohne die deine Geschichte so nicht funktioniert (z.B.: gibt es Protagonisten, die bei Videos nicht mitmachen wollen).

Natürlich ist ein Plan da, um über den Haufen geworfen zu werden, falls noch etwas Besseres passiert. Die Erfahrung zeigt aber, dass das oft nicht der Fall ist. Deshalb lohnt sich Planung eben doch.

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